Dr. Klaus Leopold, Autor zahlreicher Bücher zum Thema Kanban, wird auf dem Product Owner Camp 2017 eine Session zum Thema „Lean Business Agility“ anbieten. Im Vorfeld haben wir uns mit ihm darüber unterhalten, warum meist nur Software-Teams agilisiert werden, in Unternehmen oft eine Unternehmens-Mechaniker-Manier vorherrscht und wie man es schafft, Kanban in einem verteilten Team einzuführen, das noch dazu in unterschiedlichen Zeitzonen arbeitet.
Kanban für verteilte Gruppen länderübergreifend einführen
Warum werden meistens nur die Software-Teams agilisiert und weniger die Management-Teams?
Klaus: Es gibt natürlich keine pauschale Antwort auf diese Frage. Ich werfe mal einen Aspekt in den Ring: Die Annahme ist wahrscheinlich sehr verlockend, dass wenn man schneller Software geliefert haben will, man eben die einzelnen Software-Teams agilisiert. Das geht von der Annahme aus, dass eine Organisation aus einzelnen Teilen besteht – die Teams – und wenn man nur die einzelnen Teile optimiert, hat man ein optimales System. Nur das ist leider nicht so!
Es kommt nicht darauf an, dass jedes Team irgendeine schöne agile Methode ausführt, sondern man muss die Zusammenarbeit teamübergreifend agilisieren.
Um die Leistung eines Systems zu optimieren, muss man – ganz nach Russell Ackoff – Interaktionen eines Systems optimieren. Wenn man nun also ein Unternehmen agilisieren will, kommt es nicht darauf an, dass jedes Team irgendeine schöne agile Methode ausführt, sondern man muss die Zusammenarbeit teamübergreifend agilisieren – eben die Interaktionen der Teams agilisieren. Genau an dieser Stelle braucht man das Management im Boot, da man den teamübergreifenden Schulterschluss eben sehr schwer als ein Team alleine schafft.
Ich glaube, es fehlt häufig am systemischen Verständnis. Man schraubt gerne – ganz in Unternehmens-Mechaniker-Manier – lieber irgendwo irgendeine trendige Methode rein, als wirklich zu verstehen, was es braucht um Verbesserungen herbeizuführen. Derzeit ist eben Agile voll im Trend.
Was war bisher deine größte Herausforderung als Trainer bzw. Berater bei der Einführung von Kanban?
Klaus: An eine Sache kann ich mich noch echt gut erinnern, die sich vor mittlerweile mehr als vier Jahren ereignet hat. Es ging darum, ein Kanban-System für eine verteilte Gruppe zu bauen.
Die Gruppe bestand aus vier Teams und ca. 40 MitarbeiterInnen, die gemeinsam an mehreren Projekten in Deutschland, Japan und Korea arbeiteten. Die einzelnen Teams waren mit jeweils zwei bis drei Vertretern beim Bau des Kanban-Systems dabei. Die Schwierigkeit war jedoch, dass nur die zwei Teams aus Deutschland auch vor Ort waren. – die Teams in Japan und Korea waren per Videokonferenz zugeschaltet, und natürlich wurden auch die Ereignisse in Deutschland live nach Japan und Korea übertragen.
Aufgrund der Zeitverschiebung startete der Workshop bereits um 5:30 Uhr morgens und dauerte bis 15 Uhr DE-Zeit, was wiederum 22 Uhr für unsere asiatischen Kollegen war. Ich konnte es fast nicht glauben, als um ca. 14:30 Uhr alle Beteiligten das initiale System in Betrieb nahmen. Es gab natürlich in Japan und Korea Co-Facilitatoren, die mir halfen, den Workshop über die Bühne zu bringen, und mit denen ich eine separate Leitung offen hatte, wo wir immer die neuesten Ereignisse besprachen. Das war schon echt cool und nach dem Tag war ich echt sehr müde! 🙂
Du bist in ziemlich vielen Ländern unterwegs. Kann man sagen, dass es unterschiedliche Herausforderungen in den unterschiedlichen Ländern gibt, etwa in Bezug auf Mentalität?
Klaus: Oh ja, da gibt es einiges zu erleben. Meine anfangs naive Annahme, dass die asiatischen Kulturen schon einigermaßen gleich funktionieren, hat sich recht rasch als total falsch herausgestellt, z. B. Japan, China, Thailand und Indien ticken völlig anders. Auf der anderen Seite auch wieder klar, denn auch zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz gibt es schon einige Unterschiede in Bezug auf Umgangsformen, Pünktlichkeit usw.
Das macht die Arbeit natürlich besonders spannend, wenn man in einem Unternehmen in mehreren Ländern tätig ist. In der dritten Auflage vom Buch “Kanban in der IT” (erscheint im Dezember 2017) gibt es eine zusätzliche Case Study, in der wir von einem Projekt bei Bosch Automotive Electronics berichten, in dem wir bei der Einführung von Kanban in jedem Land anders vorgegangen sind.
Was war die Motivation für deine Bücher?
Klaus: Ich habe das Glück, wirklich sehr viel mit meinen Kunden gemeinsam erleben zu dürfen, und da staut sich einfach einiges an Erfahrungen auf. Ein Buch zu schreiben ist quasi ein Brain-Dump. Alle Erlebnisse, die im Kopf herumschwirren, werden in eine Struktur gebracht – der berühmte rote Faden – und dann eben vom Kopf aufs Papier rausgedrückt, damit wieder Platz für neue Erlebnisse ist.
Wenn man etwas verschriftlicht, muss man auch wesentlich genauer sein. In einem Workshop kann man schon mal sagen, “… und da habe ich in einem Artikel gelesen…” Das klappt in einem Buch nicht, da braucht man die genau Referenz, und bei der Suche dreht man schon noch mal einige wertvolle Lernschleifen.